Urteil SG Freiburg: Zusätzliche individuelle Assistenzleistungen in erheblichem Umfang bei einer vollstationären Versorgung („besondere Wohnform“)
Aus: Sozialrecht Rosenow – Newsletter 3/25
„Systemversagen der Eingliederungshilfe
Mit meinem Newsletter 1/25 habe ich auf einen Beschluss im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes des SG Sozialgericht (SG) Freiburg vom 14.8.2028 hingewiesen (S 7 SO 2989/23 ER), der im Ergebnis den Anspruch auf personenzentrierte Leistungen gegen Bestrebungen, die Reform des BTHG zu unterlaufen, durchsetzt. Nun hat das SG Freiburg diese Entscheidung im Hauptsacheverfahren bestätigt. Mit seinem ausführlich begründeten Urteil vom 27.5.2025, das im August bekanntgegeben wurde, bekräftigt das SG seine Feststellung des Systemversagens im Bereich der Eingliederungshilfe für Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf (SG Freiburg, Urteil vom 27.5.2025, S 7 SO 1914/23), und zieht daraus die Konsequenz, zusätzlich zu einer vollstationären Versorgung („besondere Wohnform“) individuelle Assistenzleistungen in erheblichem Umfang zuzusprechen.
Einblicke in die Wirklichkeit der Leistungen heute
Die mündliche Verhandlung bot erschreckende Einblicke in die Realität der Einrichtung, in der der Kläger wohnt. Es wurde deutlich, dass das Personal nahezu vollständig mit der Pflege der Bewohnerinnen und Bewohner beschäftigt ist. Während einer Schicht blieben vielleicht 15 Minuten für „soziale Teilhabe im Sinne von Freizeitaktivitäten“, sagte eine Mitarbeiterin im Rahmen ihrer Zeugenaussage – 15 Minuten in einer Schicht für 18 Bewohnerinnen und Bewohner, 80 Sekunden pro Person! Auf die Frage, ob sich nach dem Inkrafttreten der Reform durch das Bundesteilhabegesetz in der Praxis der Einrichtung etwas geändert habe, antwortete die Zeugin:
„Faktisch geändert hat sich eigentlich nichts. Wir wissen auch, dass Teilhabe auch bedeutet, mit unseren Bewohnern nach draußen zu gehen. Das ist oft aber einfach aus Personalmangel nicht umsetzbar. Teilhabe bedeutet deswegen für uns auch viel das Miteinander zusammen im Haus.“ [Protokoll der Mündlichen Verhandlung vom 27.5.2025]
Das Gericht jedoch stellte fest, dass nicht Personalmangel das Problem ist: Auch dann, wenn das vorgesehene Personal vollständig zur Verfügung steht, sieht es nicht besser aus (Urteil S. 27 unten).
(…)
Eine wegweisende Entscheidung
Trotz der Aspekte der Begründung, die zu diskutieren sind, ist das Urteil des SG Freiburg vom 27.5.2025 ein Meilenstein. Entscheidend ist, dass das Gericht von dem Anspruch auf eine personenzentrierte Leistung ausgeht, diese Leistung bestimmt und schließlich zuspricht. Damit setzt es den Paradigmenwechsel von einer institutionenzentrierten zu einer personenzentrierten Leistung durch, den das Bundesteilhabegesetz verlangt.“
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